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Unter Druck "Die Zeit läuft ab fürs Fernsehen"

Nicht nur die Printmedien leiden unter dem wachsenden Erfolg von Online-Angeboten. Auch das Fernsehen wird über kurz oder lang gewaltige Einbußen hinnehmen müssen, denn die Zeitbudgets der Konsumenten ändern sich. US-Analysten glauben: Die Zeit des Fernsehens als zentrales Werbemedium geht zu Ende.

"Die Zeit läuft ab." Eric Schmitt, Analyst bei Forrester Research, sieht eine finstere Zukunft fürs gute alte Fernsehen voraus. "Irgendwann wird es unmöglich werden, nicht zuzugeben, dass das Medium als Werbe-Vehikel überbewertet ist", sagte der Autor eines Berichts über die Zukunft der Fernsehwerbung kürzlich der "New York Times".

Dem Fernsehen droht seine älteste und verlässlichste Einnahmequelle zu versiegen. Vielleicht auch deshalb, weil man auf technologische Entwicklungen oft eher langsam reagiert. In Zeiten digitaler Aufzeichnungsgeräte, online gestreamter Filme und massenhafter Video-Downloads wird es eng für die TV-Sender.

So wie Tageszeitungen, die ihre News nur einmal am Tag auf den Markt werfen können, ist auch das Fernsehen mit seinem festgelegten Programmschema vielen nicht mehr flexibel genug. Während die Zeitung im Wettkampf mit Online-Newsangeboten den Aktualitätswettkampf verliert, gerät das Fernsehen durch seine zeitliche Starre ins Hintertreffen - man will sich nicht mehr an eine bestimmte Sendezeit binden lassen, um ein bestimmtes Programm zu sehen.

Die "Tagesschau" kommt nicht mehr um acht

Jerry B. beispielsweise sieht die "Tagesschau" heute meist auf dem Bildschirm seines Laptops. Wenn der Lehramtsstudent es nicht schafft, um 20 Uhr vor dem Fernseher zu sitzen, macht das nichts: Sein schneller Internetzugang erlaubt es ihm, sich die On-Demand-Version der Abendnachrichten jederzeit anzusehen. Den von der ARD teuer verkauften Spot direkt vor "Hier ist das erste deutsche Fernsehen ..." verpasst Jerry B. so. Dem Studenten ist das nur recht, für die ARD aber entsteht da eine Konkurrenz zum eigenen Angebot.

Die ARD wagt erste Schritte in die digitale Zukunft: Für Breitband-Angeschlossene hat sie ein löbliches, wenn auch etwas ungeordnetes Internetprogramm. Alle Nachrichtensendungen inklusive der "Tagesthemen" können komplett oder beitragsweise abgerufen werden. Clips aus dem "Morgenmagazin" sind ebenso online abzurufen wie der "Scheibenwischer" oder vollständige Talksendungen mit Sandra Maischberger und Reinhold Beckmann.

Wer einen Beitrag aus einem bereits gesendeten "Weltspiegel" sehen will, kann aber Pech haben - wegen der dezentralen Struktur der ARD: Wer nach einer Sendung sucht, wird permanent von einer Seite auf die nächste weitergeleitet, von ARD.de über DasErste.de bis hin zu den Seiten der Rundfunkanstalten der Bundesländer - mit qualitativ höchst unterschiedlichen Resultaten.

Schnipsel, Häppchen, Bezahlinhalte

Das Angebot der ARD ist insgesamt dennoch ungewöhnlich gut sortiert - besser als der Webauftritt vieler anderer Fernsehsender.

Bei Sat.1 zum Beispiel findet man online fast nichts Bewegtes, nur ein paar Comedy-Häppchen, aber keine Livestreams und keine kompletten Sendungen als Video-on-Demand. Bei RTL gibt es auch Häppchen, aber um die zu sehen, muss man sich erst einmal anmelden. Dann gibt es einzelne Beiträge oder Ausschnitte aus einer Vielzahl von Sendungen, meist umsonst. Für einiges muss jedoch gezahlt werden, 98 Cent für einen fünfminütgen Beitrag zum Beispiel oder für 24 Stunden Zugriff auf alle Online-Filmchen aus "Ich bin ein Star ... holt mich hier raus".

"Mittel- und langfristig sehen wir im Bereich Bewegtbilder durchaus wirtschaftliches Potential", sagt Simone Dann von RTL, "derzeit verstehen wir unsere Webclips aber eher als Service." Modelle wie etwa die Lizenzierung einer Online-Preview der aktuellen Folge von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" an T-Online würden aber heute schon mit Begeisterung aufgenommen.

Insgesamt ist das Geschäft mit Online-Videos für alle Sender nach wie vor ein Nischenmarkt. Die wachsende Anzahl von Internetnutzern mit Breitbandzugang dürfte das aber ändern - wenn man den Trend nicht verschläft. Doch während es Phantasie und Engagement braucht, aus den durch Digitaltechnik resultierenden Veränderungen der Fernsehwelt positive Effekte zu kitzeln, ergeben sich die negativen ganz von allein.

Denn auch wenn sich TV-Sender nicht auf neue Techniken einlassen, werden sich findige Zuschauer mit ihrer Hilfe schnell ihr eigenes Programm zusammenstellen. Ein PC mit TV-Karte lässt sich beispielsweise leicht zum Festplattenrekorder umrüsten. Mit Zusatzsoftware wie MythTV schneidet der Heimcomputer auch Werbung aus den Sendungen heraus - ein Albtraum für die Vermarkter der großen Sender.

Jeder zweite US-Haushalt zeichnet bald digital auf

In den USA ist der Festplattenrekorder Tivo, der ebenfalls Werbung unterdrücken kann, inzwischen ein stehender Begriff - wie bei uns "Tempo" oder "Uhu". Er bietet, wie eine ganze Reihe von Nachahmern, auch "TV-on-Demand": Man kann damit nicht nur aufnehmen, sondern auch zeitversetzt Programme ansehen - wer die Werbeblöcke überspringen will, fängt einfach eine halbe Stunde später an, sich den Prime-Time-Spielfilm anzusehen. Die Analysten von Smith Barney schätzen laut "New York Times", dass in den USA bis 2010 etwa 58 Millionen Haushalte einen digitalen Videorekorder haben werden - das ist beinahe die Hälfte aller Haushalte, in denen es einen Fernseher gibt.

Die Fernseh-Digitalisierung bricht sich im Netz auch noch in ganz anderer Weise bahn, völlig unabhängig von den Sendeschemata der Anbieter. Fernsehformate wie "Friends", "Die Simpsons" oder "Desperate Housewives" werden in Internet-Tauschbörsen inzwischen mindestens ebenso fleißig hin und her verschoben wie Musikdateien oder Spielfilme.

Ulrike S. beispielsweise liebt US-Serien - und sie liebt den Originalton, in dem der Sprachwitz, der gerade Comedy-Formate ausmacht, nicht einer mäßigen Synchronisation zum Opfer fällt. Die 34-jährige Kommunikationsberaterin saugt sich deshalb in großem Stil Serienfolgen aus dem Netz - offiziell erlaubt ist das natürlich nicht. Einige Sendereihen hat sie dennoch schon komplett in ihrem Besitz. Und auf neue Folgen ihrer Lieblingsserien wartet sie nicht, wie der deutsche Fernsehzuschauer, ein halbes Jahr oder mehr - sie hat sie meist schon am Tag nach der US-Ausstrahlung auf der Festplatte. Und kann sie dann sehen, wann immer sie will.

Vorbei die Zeiten von Terminzwang und Werbung

Die neuen Sehgewohnheiten von Serienfans verärgern die großen US-Sender nicht nur, weil sie ihren Einschaltquoten schaden. Der Verkauf von Serien-DVDs ist auch ein echter Wachstumsmarkt. Die Analysten von Merrill Lynch schätzten kürzlich, im vergangenen Jahr seien mit solcher Zweitverwertung in den USA 2,3 Milliarden Dollar umgesetzt worden. Wer alle Folgen schon digital gespeichert hat, wird es sich zweimal überlegen, ob er noch einmal Geld für eine DVD-Box ausgibt. Wie der Musikindustrie brechen also auch den Fernseh-Unterhaltern Verdienstmöglichkeiten gleich an mehreren Fronten weg.

Dass die Generation der Web-Nutzer ihre Sehgewohnheiten ändert, zeigt auch eine eben veröffentlichte Studie. Im Auftrag eines Softwareherstellers befragte die Universität Siegen über 1200 Personen nach ihren Nutzungsgewohnheiten von Internet und TV. Einhelliges Fazit unter den Internetnutzern: Das aktuelle Fernsehprogramm kann die Wünsche der Zuschauer nicht befriedigen. Vor allem die Sendezeiten stoßen auf Ablehnung. Fast 80 Prozent der Befragten bemängeln, dass es kein attraktives Programm gibt, wenn sie Zeit zum Fernsehen haben.

In den USA werden bislang nur 4,3 Prozent aller Werbeeinnahmen im Internet verdient - allerdings betrug der Zuwachs im vergangenen Jahr fast 30 Prozent. Das Zeitbudget für die Mediennutzung der Amerikaner sieht längst anders aus: 14 Prozent ihrer Medien-Zeit verbringen sie durchschnittlich im Netz. Bei den Deutschen sind es 12 Prozent.

Besonders die sehr konsumfreudige und kaufkräftige Gruppe zwischen 18 und 34 Jahren sieht immer weniger fern. 44 Prozent der US-Amerikaner in dieser Altersgruppe suchen täglich Nachrichten-Webportale auf - nur 18 Prozent sehen täglich Fernsehnachrichten, ergab ein Studie der Carnegie Corporation.

Genau wie der Forrester-Analyst es ausdrückte: "Die Zeit läuft ab."

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